Erklärung der VDW-Studiengruppe „Frieden und Europäische Sicherheit“ zur Stationierung von konventionellen „Long-Range Fire Deploy-ments“ in Deutschland
Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) hat eine Erklärung zur geplanten Stationierung von US-amerikanischen Langstreckenraketensystemen in Deutschland ab 2026 veröffentlicht. In diesem Dokument analysiert die VDW-Studiengruppe "Frieden und Europäische Sicherheit" die möglichen Auswirkungen dieser Entscheidung auf die europäische Sicherheit und die globale nuklearstrategische Stabilität.
Die Wissenschaftler äußern Bedenken hinsichtlich der mangelnden öffentlichen Diskussion und fordern eine gründliche Bewertung der Risiken und Folgen für Deutschland. Sie betonen die Notwendigkeit eines ergebnisoffenen Dialogs zwischen Regierung und Parlament sowie die Wichtigkeit rüstungskontrollpolitischer Maßnahmen, um ein eskalierendes Wettrüsten zu verhindern.
Prof. Dr. Götz Neuneck, Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler für die VDW-Studiengruppe „Europäische Sicherheit und Frieden“
Bildquelle: Wikipedia
Der Erhard-Eppler-Kreis empfiehlt die Beiträge von Wolfgang Richter und Jochen Luhmann, die auf einen bedeutenden Strategiewechsel innerhalb der Bundeswehr hinweisen.
Jochen Luhmann ist ein renommierter Friedensforscher, der sich mit sicherheitspolitischen und ethischen Fragen der Militärstrategie auseinandersetzt und regelmäßig zu friedenspolitischen Themen publiziert. Wolfgang Richter, Oberst a. D., war leitender Militärberater in den deutschen Vertretungen bei den Vereinten Nationen und der OSZE und arbeitet heute als Associate Fellow am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP).
Die Stationierung von US-Raketen auf deutschem Boden und das damit verbundene Erstschlagsrecht stehen im Mittelpunkt des Beitrages von Jochen Luhmann. Befürworter, wie Brigadegeneral Maik Keller, argumentieren, dass diese Maßnahme zur Abschreckung und zur Flexibilisierung der europäischen Verteidigung beitragen soll. Laut Keller sei die Stationierung notwendig, um „einem Angriff … zu begegnen, bevor auf uns geschossen wird,“ wobei ein möglicher Angriff als Rechtfertigung für präventive Aktionen interpretiert wird. Diese Formulierung, die präemptives Handeln als Verteidigung legitimiert, verschiebt die Definition von Angriff und Verteidigung und stellt nach Ansicht des Friedensforschers Jochen Luhmann eine fundamentale Untergrabung der UN-Charta dar, insbesondere des Artikels 51, der das Recht auf Selbstverteidigung auf den Fall eines tatsächlichen bewaffneten Angriffs beschränkt.
Luhmann kritisiert scharf, dass die NATO durch diese Haltung eine Strategie der Präemption verfolgt, die auf den ersten Angriff setzt, um einen vermeintlichen Angriff zuvorzukommen. Diese Haltung, so Luhmann, erinnert gefährlich an die nukleare Aufrüstungslogik der frühen 1950er Jahre, die erst durch das „Mutually Assured Destruction“-Prinzip (MAD) stabilisiert werden konnte. Ein entsprechendes Stabilisierungskonzept für konventionelle Langstreckenraketen (LRF-Waffen), wie sie jetzt in Deutschland stationiert werden sollen, fehlt jedoch. Diese Abhängigkeit von einer potentiell eskalierenden Kriegsführungsstrategie sei ein enormes Sicherheitsrisiko für Deutschland und Europa, da sie Russland unter Druck setzt, auf mögliche Bedrohungen früher und heftiger zu reagieren.
Auch Wolfgang Richter, ehemaliger Oberst und Militärberater, hinterfragt die Strategie scharf. Er weist darauf hin, dass der derzeitige Stand der NATO-Luft- und Seestreitkräfte in Europa eine enorme Überlegenheit gegenüber Russland sichert, was bereits eine ausreichende Abschreckung darstellt. Eine zusätzliche Stationierung von bodengestützten Langstreckenraketen könnte die strategische Stabilität jedoch erheblich gefährden, indem sie das Vertrauen Russlands in die bestehende Sicherheitsordnung schwächt und möglicherweise einen neuen Rüstungswettlauf provoziert. Richter warnt, dass die „Perzeption der anderen Seite“ entscheidend sei. Wenn Russland die Stationierung als Möglichkeit eines Überraschungsangriffs sieht, könnte dies den Präemptionsdruck auf Seiten Russlands erhöhen, insbesondere in Krisenzeiten.
Keller behauptet, die Entscheidung, diese Waffen im Ernstfall einzusetzen, werde stets durch den NATO-Rat getroffen, was Luhmann jedoch anzweifelt. Er betont, dass es fraglich sei, wie ein einstimmiger Beschluss unter 32 NATO-Mitgliedern in einer Notlage, die schnellstmögliche Reaktionen erfordert, überhaupt praktikabel umgesetzt werden könnte. Solche Unsicherheiten hinsichtlich der Entscheidungsstrukturen verstärken laut Luhmann die Instabilität, die durch diese Raketenstationierung ohnehin geschaffen wird. Die Ambiguität der Begriffe und die Neudefinition von „Verteidigung“ als präventiven Angriff, wie Keller es formuliert, mache Deutschland in den Augen Luhmanns und Richters extrem anfällig für eine Eskalation.
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